Kälte strich über seinen Rachen und füllte seine wunden Lungen. Das Gewicht, welches auf seinen Gliedern lastete, verflüchtigte sich. Ganz eins, mit dem Untergrund auf dem er lag verhaftet, verlieh ihm die nun federhafte Leichtigkeit die wundervolle Vorstellung, er würde schweben. In tiefen kräftigen Wellen spülte sich Leben in seinen Körper und gierig atmete er ein und ließ allmählich Bewusstsein entstehen. Seine Gedanken waren jedoch weit entfernt von dem, was war und was noch kommen würde. Wie ein neugeborenes Kind nahm er lediglich die Eindrücke des Augenblicks wahr.
Träge öffnete er die Lider. Nur einen winzigen Spalt breit. Den Kopf in den Nacken gestreckt, erkannte er inmitten sich hektisch bewegender Flecken den hell schimmernden Schemen einer menschlichen Gestalt über sich. Ihre warmen Hände hielten sein Gesicht und eine Art Ring umschloss seine Nasen- und Mundpartie. Er schluckte, als er den bitteren Geschmack auf seiner Zunge bemerkte. Sie wirkte sonderbar pelzig. Einen Moment später ging ein Ruck durch seinen Körper.
Ich will … ich muss …
Er wollte sich aufrichten, doch etwas hielt ihn zurück. Er konnte sich nicht bewegen. Panik ergriff ihn.
… ersticke.
»Bruce!«
Eine Erschütterung. Stillstand. Es klickte metallisch und die Maske wurde ihm vom Gesicht gerissen. Er bäumte sich auf und klebriger Speichel schoss hustend aus seinem Mund. Sein Körper erbebte, Schmerzen durchfluteten ihn. Fort war all die Leichtigkeit.
»Ganz ruhig. Ruhig atmen… ruhig.«
Er verkrampfte sich, würgte und weiterer Schleim rann ihm zähflüssig über die Lippen.
»Ein … und aus … Ein …«
…und aus …
Sein Atem ging pfeifend. Da war das Gefühl von Gummi auf seiner Stirn; jemand stützte seinen Kopf. Tränen tropften auf das beschichtete Chemiefasergewebe der Krankentrage hinab und betäubt starrte er auf seine Hände. Das Weiß seiner Nägel war verdreckt, seine stark gerötete Haut rußig mit vereinzelten Stellen getrockneten Blutes.
Was … ist denn …
Er riss die Augen auf und unruhig begann sein Blick umher zu huschen. Er entdeckte einen Löschzug der Feuerwehr und einen Rettungswagen. Die blau-gelb gemusterte Karosserie war in einen orangefarbenen flackernden Schein getaucht, es roch nach Rauch und die Geräuschkulisse war von lauten Stimmen und einem seltsamen Rauschen erfüllt.
Ich … kann … nicht …
Seine Arme knickten ein. Zitternd ließ er sich zurücksinken, während er angestrengt versuchte, seine Erinnerung wiederzufinden.
»Geht es wieder?« Eine Sanitäterin beugte sich über ihn. Sie mochte Anfang vierzig sein, vielleicht etwas älter. Dunkle Locken fielen ihr in die Augen.
Er nickte schwach.
»Kannst du mir deinen Namen sagen?«, fragte sie leise.
Er überlegte.
Meinen …. Namen …
»Riley«, krächzte er rau. Seine Kehle brannte. Aber da war noch etwas. Irgendwie wurde er das beklemmende Gefühl nicht los, versagt zu haben. Nur wusste er nicht wo.
Die Frau lächelte. »Hallo Riley, ich bin Carol und der hübsche Kerl da drüben, heißt Bruce.« Mit einem Kopfnicken deutete sie zum Fußende der Bahre hin.
Ein Beutel mit einer dunklen Flüssigkeit schwebte über Riley hinweg. »Hier hältst du mal, Carol?« Gleich darauf erschien ein junger Sanitäter in Rileys Blickfeld. »Hey«, sagte Bruce freundlich, während er mit geübten Griffen den Haltegurt, der Rileys Oberkörper fixierte, wieder festzurrte. »Wir bringen dich jetzt ins Krankenhaus.«
Carol gab ihrem Kollegen den Infusionsbeutel zurück und zupfte Riley anschließend ein weiteres Mal die Atemmaske über das Gesicht. »Es wird alles gut.«
Es folgte die nächste Erschütterung und die Trage setzte sich wieder in Bewegung.
»Das Haus brennt wie Zunder. Zum Glück ist die andere Hälfte zurzeit unbewohnt. Möchte wissen, was da drin war.« Zwei Feuerwehrmänner passierten ihren Weg. Die weißen Helme reflektierten den blauen Schein der rotierenden Rettungslichter.
Riley sah ihnen nach, dann drehte er den Kopf zur Seite. Beim Anblick der Flammen, welche hoch in den schwarzen Nachthimmel leckten, gab er einen verzweifelten Laut von sich.
Bücher.
Und mit einem Schlag war die Erinnerung wieder da.
SIE SIND HERGEKOMMEN UND SIE HABEN DAS HAUS ANGEZÜNDET.
»Nein«, murmelte Riley dumpf. Der durchsichtige Kunststoff der Sauerstoffmaske beschlug in einem fort, als sich sein Atem rasant beschleunigte. Erneute Panik befiel ihn. Einen Moment später wurde die Bahre angehoben und der grell erleuchtete Innenraum des Rettungswagens schob sich vor das lichterloh brennende Gebäude. Laut rastete die Trage in die vorgesehene Halterung ein.
»Jetzt besteht wohl keinerlei Zweifel mehr in der Antwort, wer von uns beiden ihn letztendlich auf dem Gewissen haben wird.« Eine schnarrende Stimme. Kühl und blasiert. »Ihr Eifer zahlt sich offensichtlich aus.«
Rileys Kopf fuhr herum. Vor den offenen Türen des Krankenwagens stand Delwyn Pritchard, die Hände steckten lässig in den Taschen eines legeren Sommeranzugs.
Riley begann zu keuchen.
»Tief einatmen, Riley. Hörst du mich? Tief einatmen.« Carols Stimme wehte an sein Ohr.
Die wässrig blauen Augen Delwyn Pritchards verdüsterten sich.
ICH HELFE DIR. ICH BRINGE UNS HIER RAUS.
»Vorsicht, treten Sie zurück, Sir.« Bruce beugte sich vor und zog mit einem Ruck die Türen zu. »Was war das denn für ein Idiot?«, zischte er verärgert und sah kopfschüttelnd zu Carol hinüber.
Diese drehte sich mit einem spöttischen Schnauben zur Fahrerkabine um. »Fahr los, Troy!« Sie runzelte die Stirn. »Wenn die Polizei mitbekommt, dass er aufgewacht ist, werden die mit ihm sprechen wollen und dann dauert das wieder.«
»Stimmt, die wählen ja immer den besten Moment«, pflichtete Bruce ihr ironisch bei.
Der Wagen fuhr an und beschrieb eine Kurve, bevor er rasant über den Gehweg auf die Fahrbahn lenkte. Für einen kurzen Augenblick war das Flackern des Feuers durch die Milchglasscheiben zu erkennen, dann verschwand es. Zurück blieb der Schmerz.
ER WIRD UNS NICHT KRIEGEN. ER WIRD NICHT GEWINNEN. NIE MEHR WIRD ER GEWINNEN.
Ein fataler Irrtum. Bereits drei Tage nach dem Coup stand es 1:1. Allzu rasch hatte Lancaster nachgezogen. Riley kniff die Augen zusammen und Bitternis legte sich auf sein Gesicht.
Schuldig.
© Jayden V. Reeves | Die Scherben seiner Seele Bd. 2